Die Wüste zu sehen, war ein großer Traum von uns. Für mich war Wüste etwas ganz unvorstellbares. Eine ganz neue Erfahrung, die nichts gleicht, was ich vorher gesehen hatte. Sowas mag ich gern.
Wir waren schon eine Weile in Marokko, da stellte mir bei Facebook ein Typ mit Nomadenturban eine Freundschaftsanfrage. Freundschaftsanfragen nehme ich immer an, es sei denn das Profil des Betreffenden ist dubios. Er schrieb mich auch gleich an und sagte, er wollte mein Freund werden. Ok, er will mir was verkaufen, dachte ich. Aber er wohnte in M’hamid. In der Wüste. Da, wo wir hin wollten.
Und Mohammed konnte uns tatsächlich einen Platz in einem Wüstencamp seines Freundes organisieren. Also fuhren wir hin. Mit den teuren Bussen, über den Atlas.
Diese Reise ist mir unvergesslich. So eine unwirkliche Mischung.Die Serpentinen sind nicht immer gut gesichert. Das Geröll auf der Straße machte die Fahrt streckenweise noch holpriger. Und meiner armen Familie wurde so schlecht. Irgendwann schliefen alle außer mir. Draußen zogen die Berge und die Abgründe vorbei. Oben, ganz oben, waren winzige Häuser in die Geröllwüste gebaut. In den Gärten blühten Mandelbäume.
Nach den Bergen kamen die Wüste und die Oasen. Palmenhaine und kleine Weizenfelder zwischen den Palmen. Und, egal wie schräg der Untergrund, Fußballfelder. Jungen, die in der Dämmerung spielen. Dörfer in denen die Männer vor der Moschee auf dem Boden sitzen. Es ist dunkel und hell. Über der Wüste leuchten mehr Sterne.
Als wir ankommen ist es spät. Wir sind am Rand der Welt gelandet. Das letzte Dorf vor der algerischen Grenze. Vor der Sahara und den großen Dünen. Und Mohammed ist nicht da. Ein Freund kommt uns abholen. Uns, und einen Couchsurfer.
Mohammeds Freund lebt in dem alten Haus seiner Familie. Hier nimmt er immer wieder Menschen aus aller Welt auf. Zwei Mädchen aus Spanien sind auch schon da.
Das Haus. Eine schmale Metalltür in einer Lehmwand. Ein staubiger Hof und ein großes Haus aus Beton. Ganz leer. In einem Raum ein Lager für uns. Matratzen und Decken. Ein Teppich und Essen. Abwasch morgen. Nachts gibt es hier kein Wasser. Nicht mehr, seid Hollywood nach Marokko gekommen ist. Strom für die Filmproduktion, Pools und Golfplätze für die Stars und Touristen. Ein Volk in der Wüste kann wohl ohne seinen Fluss auskommen. Und in die Städte verschwinden.
Oben in den Bergen bei Ouarzazate wurde der Fluss Dra gestaut. Dort wird Game of Thrones gedreht und einige große Kinofilme auch. Also kennst du die Gegend vielleicht, von der ich hier schreibe.
Schließlich kommt Mohammed. Er arbeitet als Guide und als Kamelführer. Darum war er auch noch unterwegs. 60 km durch die Wüste an einem Tag. Die Touristen wurden mit dem Jeep zurück gefahren. Mohammed führte die Kamele zurück. Sie wurden dringend für die nächste Tour gebraucht. Solche Jobs hat Mohammed öfter. Er bekommt sie von großen Agenturen. Bei großen Agenturen buchen die Touristen gern. Sie sind glaubwürdig. Dafür bekommen sie auch eine Menge Geld. Der, der zuverlässig die Kamele mietet, packt und pflegt, der bekommt weniger Geld.
Also los, in die Wüste. In den Sand, in die Dünen. Am nächsten Tag. Ein anderer Freund von Mohammed hat ein Auto und fährt uns. Über Sand und Geröll. Zum Camp. Das liegt drei Kilometer außerhalb. Zu weit, um zu laufen mit dem Gepäck und den Kindern, hat Mohammed entschieden.
Das Camp ist neu. Neue Zelte, fest, mit Boden und Betten. Neue Matratzen. Ein kleines Haus mit zwei Zimmern. Eine Küche und ein Wohnraum.
Dort lebt Sami. Er ist immer da. Mehr ein Junge, als ein Mann. Er hat einen Rucksack in einer Ecke. Sein Smartphone. Und einen kleinen Fernseher gibt es auch. Die Tür ist auf. Der Wohnraum ist für alle da. Die Küche auch. Und das Waschhaus. Mit Duschen. Das Wasser kommt aus der salzigen Quelle. Von ihr leben auch die Palmen. Für Felder reicht sie nicht. Aber Felder hat es hier gegeben. Wir sehen noch ihre Umrandungen im Staub.
Die Wüste ist ohne Worte. Wir sind nur am Rand. Und schon hier ist sie weit. Still. Freundlich. Es ist ein Ort, an dem Menschen leben können. Der Sand ist weich zu den Füßen. Der Wind ist kühl zum Kopf. Von der Düne kann man bis zu den Bergen sehen. Die alten Handelsrouten der Nomaden führen dort lang. Wir fragen Mohammed, ob er schon dort war. Das Gebirge überquert hat. Er lacht. Das ist die Grenze. Sie ist geschlossen. Überall mit Kameras überwacht. Nein, das Gebirge kann man nicht mehr überqueren.
Was macht eigentlich ein Volk, das seiner Lebensgrundlage beraubt wird? Was machen die jungen Männer, die zum Teil noch in Nomadenzelten geboren wurden? Nun, da keiner mehr Nomaden braucht? Wovon sollen sie leben, da, wo es kein Wasser mehr gibt? Sollen sie in die Städte gehen und Touristen durch winzige Gassen zu den Hotels führen? Mohammed und seine Freunde wollen bleiben. Hier sind sie frei. Sie tun was sie können. Sie sind bei Facebook und bauen sich Websites. Sammeln Testimonials von Touristen. Damit sie sich selbstständig machen können. Und frei sein.
Einmal waren da Touristen aus der Schweiz. Sie mochten Mohammed und luden ihn ein. Damit er die Welt sehen könnte. Alles wollten sie für ihn regeln, damit er einen Monat mit nach Europa könnte. Aber er wollte nicht. Freiheit ist nicht woanders.
Eines Tages sitzt auf einer Düne eine Frau. Sie kommt aus Deutschland, nur für ein paar Tage, denn sie kennt den Ort. Im Zelt neben den Palmen wohnt sie. Mit Ahmed und zwei Kamelen. Ahmed ist ein Freund von Mohammed und Sami. Es wird abend und dunkel und Gemeinsamkeit. An einem Feuer. Sie singen Lieder, unsere Kinder singen mit. Und wir hören zu und können es nicht fassen. Wo wir gerade sind und wie es ist.